AGV – Arbeitergesangvereine

Artikel von Gudrun Berninger († 2006) – (neu gesetzt)

Mit der organisierten Arbeiterbe­wegung entstand auch der erste Arbeiter-Gesangverein. Er wurde 1863 auf Anregung von Ferdinand Lassalle in Frankfurt gegründet. Der erste Ar­beiter-Sängerbund hieß »Lassalia«. Auch am Untermain gab es zahlrei­che Arbeiter-Gesangvereine. Sie grenzten sich gegen die bürgerli­chen Vereine ab und betrachteten sich als Teil der Arbeiterbewegung und ihrer Bildungsbestrebungen. Das »Dritte Reich« behandelte die Arbeiter-Gesangvereine als feindli­che Organisationen und verbot sie 1933. Einige entstanden 1945 wie­der, die meisten gaben aber den Namensbestandteil »Arbeiter« auf.

ZUM TITELBILD und zum Inhalt dieses Artikels: Herren im festlichen Gehrock, vor der Waldkulisse bauscht sich die Fahne, der Mainaschaffer Gesangverein »Edelweiß« begeht 1897 sein Fahnenweihjubiläum. Der Verein war 1893 gegründet worden und zählt zu den Arbeiter-Gesangvereinen. Die Arbeiter-Gesangvereine sind ein heute vergessener Teil des Gesangvereinswesens. Sie hatten zwar mit den bürgerlichen Vereinen viele Formen des Vereinslebens gemeinsam, wie diese traten sie mit würdevoller Feierlichkeit auf, begingen Bannerweihe und Gründungsjubiläen und hielten Wertungssingen ab. Von ihren Zielen her bildeten sie aber eine Gegenwelt. Die Arbeitersänger wollten nicht nur Unterhaltung und musikalische Erbauung bieten, sondern fühlten sich als die Erben der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und traten mit dem Anspruch auf, es sei nun ihre Aufgabe, die Pflege von Musik und Gesang zu übernehmen und sie in der Arbeiterschaft zur Vollendung zu bringen. Der Versuch, die Geschichte der Arbeiter-Gesangvereine zu schreiben, die es am Untermain gab, stößt auf eine Schwierigkeit, die unmittelbar mit ihrem Schicksal zusammenhängt: Sie waren von den Nationalsozialisten wie kriminelle Organisationen behandelt und verboten worden, ihre Vermögen wurden beschlagnahmt und alle Schriftstücke vernichtet. Nur in Ausnahmefällen gelang es beherzten Arbeitersängern, illegal das Protokollbuch oder die Noten für ein paar Chöre zur Seite zu schaffen. Solche und andere Unterlagen, einige Publikationen, Programme und Zeitungsberichte und der Forscherfleiß der Verfasserin haben es möglich gemacht, wenigstens in Umrissen eine Welt wieder entstehen zu lassen, die in ihrer Verbindung von politischen und kulturellen Bestrebungen einmalig war.

»Sind wir von der Arbeit müde, ist noch Kraft zu einem Liede«.

Auf den Spuren der Arbeiter­-Gesangvereine, die am Untermain und im Spessart bestanden haben.

Foto Lasalle

Ferdinand Lasalle – Fahne

Der Vorschlag, die Arbeiter-Gesangver­eine zu beschreiben, die zwischen dem Ende des vergangenen Jahrhunderts und 1933 am bayerisch-hessischen Un­termain und im Spessart bestanden ha­ben und von denen es einige wenige noch heute gibt, erreichte mich im Au­gust 1992. Damals dachte ich, dem The­ma ohne besondere Mühe gerecht wer­den zu können, hatte ich doch jahrzehn­telang aktiv in der Vorstandschaft des Maintal-Sängerbundes gearbeitet und sein Archiv geordnet.

Gudrun Berninger

Doch ich musste erfahren, dass es leichter ist, etwas über die Adeligen des Mittelal­ters zu erfahren als über Arbeitersänger des 19. und 20. Jahrhunderts. Meine Le­xika, Erscheinungsdaten zwischen 1900 und 1992, kennen nicht einmal den Be­griff »Arbeiter-Gesangverein«. Und auch in den Nachschlagewerken, über die die Aschaffenburger Bibliotheken verfügen, ist nichts zu finden.

Ein entscheidender Grund für das beina­he gänzliche Fehlen von ausreichendem Material ist die Zerschlagung der Arbei­ter-Gesangvereine durch die National­sozialisten im Jahr 1933. Das »Dritte Reich« hatte sie nicht wie die bürgerli­chen Gesangvereine und die Verbände anderer Sparten des Vereinswesens in entsprechende NS-Gruppierungen übergeführt, sondern hatte sie wie ver­brecherische Organisationen behan­delt, verboten, ihnen Fahne, Geld und Eigentum weggenommen und ihre Un­terlagen vernichtet.

So galt es, erstens, meinen Spürsinn einzusetzen, zweitens, auf die Hilfe mei­ner Freunde zu hoffen und, drittens, dem Zufall zu vertrauen, der mir schon öfter hold war. Ich wurde in keiner Beziehung im Stich gelassen und das Ergebnis möchte ich nachfolgend unterbreiten:

Frankfurter Arbeitersänger. Die Revo­lution von 1848 hatte in vielen Menschen zu große Erwartungen geweckt. Der Kampf um soziale Besserstellung und um Freiheit von obrigkeitlicher Bevor­mundung ging weiter. 1863 gründete Ferdinand Lasalle mit dem »Allgemei­nen Deutschen Arbeiterverein« die erste Partei der deutschen Arbeiterbewe­gung. Im Zusammenhang damit entstan­den auch die ersten selbständigen Arbei­ter-Gesangvereine. Man wollte frei sein, und wenn man es schon nicht war, wollte man wenigstens um ein Quentchen Frei­heit kämpfen – und sei es nur um die Freiheit der Gedanken oder die Freiheit, ein Lied zu singen, das den Oberen nicht genehm war.

Eine Einführung in die Anfangsjahr­zehnte der Arbeitersängerbewegung findet sich, mit »CF« gezeichnet, in dem »Fest-Buch«, das 1906 in Hanau anläß­lich des 3. Bundesfestes des »Arbeiter­-Sängerbundes für den Rhein-und Main­-Gau« herauskam (siehe Bild unten Festbuch: »Die mittlere Gliederungsebene …«)

Die mittlere Gliederungsebene der Organisationen des Arbeitergesangvereinswesens bestand aus den regionalen Arbeiter-Sängerbünden. Der Sängerbund für den Rhein- und Maingau wurde 1899 gegründet. Er umfasste den Großraum Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden und Worms. Es gehörten ihm aber auch Vereine aus dem bayerischen Nachbargebiet an. 1906 hielt der Rhein-Maingau in Hanau sein 3. Bundesfest ab. Das Festbuch, das dazu erschien, beziffert die im Rhein-Maingau zusammengeschlossenen Chöre auf 135. Darunter waren zwei, »Edelweiß« Mainaschaff und »Union« Aschaffenburg, aus Bayern, ein dritter »Bruderkette« existierte im nahen hessischen Schaafheim.

Darin heißt es: »Bereits 43 Jahre sind ins Land gegangen, seit sich (also 1863) in Frankfurt auf Anregung Ferdinand Las­salles der erste Arbeiter-Gesangverein gegründet hat. Das damalige Bürgertum hatte seine Ideale von 1848 vergessen, und in den Gesangvereinen verschwan­den die Freiheitschöre vollständig. An ihre Stelle traten tendenzlose und patrio­tische Gesänge.

Zusammen mit der sozialisti­schen Arbeiterbewegung ent­standen auch die Arbeiter-Ge­sangvereine. Der erste wurde 1863 in Frankfurt gegründet, Ferdinand Lassalle hatte die An­regung gegeben. Am bayerisch­hessischen Untermain gab es die ersten um 1900. Das Arbei­tergesangvereinswesen be­stand zwar parallel zu den bür­gerlichen Gesangvereinen und war ähnlich wie diese gegliedert. Es bildete jedoch eine Gegen­welt zu ihnen und operierte als Bestandteil der Arbeiterbewe­gung und ihrer kunstpädagogi­schen Bildungsbestrebungen. Die Lieder der Arbeitersänger spiegelten die Lebensverhält­nisse der Arbeiterschaft, beson­ders der Fabrikarbeiter und der Bergleute. Kämpferisch tönte aus ihnen die Sehnsucht nach Verbesserung der materiellen Bedingungen ihres Daseins und nach gesellschaftlicher Aner­kennung des Arbeiterstandes.

Bürgerliche Gesangvereine sehen Proletarier nicht gern, Arbeiterge­sangvereine nehmen nur Arbeiter.

Der Sängerbund Lassalia. Es war mit dem Erwecken der Arbeiterklasse zur selbständigen Partei schon damals ein Bedürfnis, einen ausgesprochenen Ar­beiter-Gesangverein zu gründen, des­sen Aufgabe es war, durch Freiheitschö­re die Massen des Volkes zu begeistern. >Bet und arbeit< war das erste Lied, das Lassalles Verein einübte. Trotz der Ver­folgungen, unter denen der Verein zu leiden hatte, machte derselbe gute Fort­schritte. Es gesellten sich weitere Verei­ne hinzu, so dass schon Mitte der 70er Jahre in Frankfurt ein Arbeiter-Sänger­bund >Lassalia< entstand. Leider sollte er nicht von langem Bestande sein. Mit dem Sozialistengesetz von 1878 wurden nicht nur die politischen und gewerk­schaftlichen Organisationen zertrüm­mert, auch die Arbeiter-Gesangvereine fielen diesem zum Opfer. In den 80er Jahren gründeten sich dann wieder neue Chöre. Doch das Sozialistengesetz la­stete noch immer auf den Vereinen und man befürchtete erneut Schikanen bzw. Auflösungen.

Der Gendarm in der Gesangsprobe. 1890, nachdem das fehlgeschlagene So­zialistengesetz endgültig gefallen war, entstand die Sozialdemokratische Par­tei Deutschlands und die Arbeiter-Ge­sangvereine formierten sich neu. Sie wurden aber immer noch so mit Mißtrau­en betrachtet, daß einige von ihnen schwere Kämpfe zu bestehen hatten. Man versuchte, ihnen die Gastwirtschaf­ten abspenstig zu machen, in denen sie sich trafen und ihre Proben abhielten. Die Behörden schränkten ihre Feste ein und verboten ihnen, Umzüge abzuhal­ten. Anderenorts erklärte man die Arbei­ter-Gesangvereine zu politischen Grup­pierungen. Auf dieser Grundlage konn­ten ihnen die Mitgliederlisten abverlangt werden und die Polizei konnte zur Über­wachung in die Proben kommen. Doch Nadelstiche dieserArt bewirkten das Ge­genteil von dem, was sie erreichen soll­ten, die Vereine erstarkten weiter.

Bund, Gau, Bezirk, Verein. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war das Arbeiter­gesangvereinswesen organisiert. In vie­len Regionen des Reichs gab es Sänger­bünde. Ihre Arbeitsgebiete wurden »Gaue« genannt und waren unterglie­dert in eine Anzahl von Bezirken, denen die Vereine unmittelbar angeschlossen waren. Als Dachverband entstand der »Deutsche Arbeiter-Sängerbund«.

Die Arbeitersänger verschönten mit ih­ren Darbietungen ihre eigenen Feste und die Veranstaltungen der ihnen gei­stig und politisch nahestehenden Kor­porationen. Sie pflegten auch ein Ver­einsleben, feierten Gründung und Fah­nenweihe ihrer Vereine und die jubi­läumsträchtige Wiederkehr derselben. Sie besuchten sich zu ihren Vereinsfesten und veran­stalteten Bezirkssänger- und Gautref­fen. Mit Wertungssingen, die Konkur­renz- oder Kritiksingen genannt wurden, kontrollierten sie die Qualität ihrer Arbeit und steigerten sie im Wettbewerb mit anderen Arbeiter-Gesangvereinen.

Diese Vereinigungen waren reine Män­nervereine. Das läßt sich wenigstens für das bayerisch-hessische Untermainge­biet sagen, dem diese Untersuchung gilt. Nur ein Verein, der 1911 gegründete »Vorwärts Kahl«, hatte 1923 einen Frau­enchor namens »Lyra« angegliedert. 1925 trat außer­dem in einem Kritiksingen in Aschaffen­burg ein »Frauenchor Seligenstadt« auf, über den sonst nichts bekannt ist.

Nichts gemein mit Bürgerlichen. Ein Vergleich mit dem bürgerlichen Gesang­vereinswesen, das damals auch schon in Blütestand, läßtzwar Parallelen im orga­nisatorischen Aufbau erkennen, doch hatten sich die Arbeitersänger streng gegen die bürgerliche Welt und ihre Ver­eine abgeschottet. Die Arbeiter-Gesang­vereine nahmen nur Arbeiter auf und wollten nicht nur Erbauung und Unter­haltung bieten, sondern waren hinge­ordnet zur Arbeiterbewegüng, die ja die geistig-kulturelle Bildung der Angehöri­gen des Arbeiterstandes anstrebte. Mit ihrer Abgrenzung beantworteten sie auch die Arroganz, die in manchen bür­gerlichen Vereinen herrschte, die keine »Proletarier« in ihren Reihen haben wollten. Das gespannte Verhältnis, das an manchen Orten zwischen dem Arbei­ter-und dem bürgerlichen Gesangverein bestand, konnte, kamen persönliche Un­verträglichkeiten hinzu, in regelrechte Kämpfe ausarten. Wenn gar ein Verein versuchte, dem anderen die guten Sän­ger abspenstig zu machen, war es um den Frieden endgültig geschehen.

Selbstgestellter Auftrag: Das Kul­turerbe des Kapitalismus überneh­men und zur Vollendung bringen.

Die frühen Arbeiterparteien und später die sozialdemokratische Partei förder­ten Vereine, die zwar eigenständig wa­ren, sich mit ihnen aber zu einem Arbeit-­Politik-Freizeit-System zusammen­schlossen, das um die Partei herum ein Milieufeld ausbreitete, in dem sich ein Mensch zeitlebens bewegen konnte.

Mitglieder und Anhänger, die die Par­teiversammlungen besuchten, debat­tierten auch in den sozialistisch-gewerk­schaftlichen Berufsverbänden, sangen im Arbeiter-Gesangverein, ertüchtigten sich im »Arbeiter-Turn- und -Sport­bund«, spielten Schach im »Arbeiter­-Schach-Bund«, kauften Lebensmittel in einem Geschäft der aus sozialistischen Wurzeln entstandenen Konsumvereine.

Dabei begegneten sie sich immer wieder und festigten im gegenseitigen Geben und Nehmen ihre Gesinnung. Das be­grenzte die Gefahr, daß sie sich in der Freizeit zur politischen oder weltan­schaulichen Konkurrenz verliefen.

1899 Bund Rhein-Maingau. Der regiona­le Sängerbund, dem die Vereine des hes­sisch-bayerischen Untermaingebiets angeschlossen waren, war der »Arbei­ter-Sängerbund für den Rhein- und Maingau«. Er entstand 1899 und hatte seine Zentrale in Frankfurt. Ihm traten im Gründungsjahr 29 schon bestehende Vereine mit insgesamt 1 800 Mitgliedern bei. 1902 zählte er 3387 Mitglieder, 1906 etwa 9000 Mitglieder in 135 Vereinen.

Im Mitgliedsbuch eines alten Arbeiter­sängers sind die leider undatierten Sta­tuten des »Deutschen Arbeiter-Sänger­bundes«, des »Sängerbundes Rhein-­Maingau« und seines für den Untermain zuständigen Bezirks abgedruckt.

Der »Deutsche Arbeiter-Sängerbund« definiert seinen Charakter so: »Der Bund stellt sich in den Dienst der Arbeiter-­Bildungsbestrebungen. Er will vor allem den deutschen Arbeiter-Gesangverei­nen die Mittel und Wege weisen, die geeignet sind, die Arbeiter-Gesangverei­ne zu befähigen, künstlerische Kultur in der Arbeiterschaft zu wecken und zu verbreiten«.

Noten kostenlos. Es gab auch einen eigenen Liederverlag, dessen Eigentü­mer der Bund gewesen zu sein scheint, denn einer der Paragraphen bestimmt: »Der Liederverlag ist verpflichtet, Frei­heitschöre, Volkslieder usw. herauszu­geben. Die Abgabe der Chöre (Noten) an die Vereine geschieht unentgeltlich«. In der Satzung des Rhein-Maingaus ist zu­sätzlich festgelegt, daß die Gauvereine keiner außenstehenden Sängervereini­gung angehören, sich nicht an Gesangs­wettstreiten bürgerlicher Vereine betei­ligen und Diplome, Auszeichnungen und dergleichen weder annehmen noch ausgeben durften.

Der Bezirk, dem die Vereine des heute bayerisch-hessischen Grenzgebiets an­gehörten, trug die Nummer 16. Sein Sta­tut macht allen Vereinen die Teilnahme an den Bezirkssingen und Konkurrenz­singen zur Pflicht. Die Bezirkssängerfe­ste, die der 16. Bezirk veranstaltete, sind belegt für die vier aufeinanderfolgenden Jahre von 1925 bis 1928 und fanden in Mainaschaff, Aschaffenburg, Stock­stadt und Schaafheim statt.

Kulturmission der Arbeiterbewegung. Neben ihrer Zugehörigkeit zu einer welt­anschaulich-politischen Bewegung fühlten die Verantwortlichen des Sän­gerbundes auch eine kunstpädagogi­sche Verpflichtung. Das Hanauer Fest­buch von 1906 geht darauf ein:

»Ist es nicht Aufgabe der modernen Ar­beiterbewegung, das Erbe des heutigen kapitalistischen Staates zu übernehmen und ist es nicht vornehmste Pflicht, Mu­sik und Gesang zur höchsten Vollen­dung zu bringen? Es wird nicht leicht sein, da den meisten Mitgliedern von Jugend an jede musikalische Ausbil­dung vorenthalten wurde. Die Volks­schule beschränkt sich nur darauf, den Schülerinnen und Schülern einige Lied­chen patriotischer oder religiöser Art beizubringen. Die Notenlehre, die die Grundbedingung von Musik und Ge­sang ist, fehlt heute (1906!) noch in fast allen Volksschulen.«

Blüte, Zerschlagung, Mißdeutung. Bis zum Ersten Weltkrieg wurden in vielen Städten und Gemeinden Arbeiter-Ge­sangvereine gegründet. Auch nach 1918 entstanden, vor allem auf dem Lande, neue Vereine. Als 1933 die Nationalso­zialisten an die Macht kamen, betrachte­ten sie die Arbeiter-Gesangvereine als politisch feindliche und sogar marxisti­sche Organisationen, verboten sie und beschlagnahmten ihren Besitz.

Noch heute werden die Arbeiter-Ge­sangvereine als rein politische Gruppie­rung betrachtet, die weiland im Singen von Freiheitsliedern und dem Ausgestal­ten von sozialistischen und gewerk­schaftlichen Festen und Feiertagen ih­ren Sinn gefunden hätten.

Dies ist allzu vereinfacht gesehen. Wie es wirklich war, geht aus den vielen Einzelschicksalen der Arbeiterchöre hervor, die es in unserem Raum gegeben hat. Es war höchste Zeit, ihre Geschichte festzu­halten. Heute, da die bürgerlichen Ge­sangvereine um ihre Existenz zu kämp­fen haben, ist die Epoche der Arbeiter-Gesangvereine vorbei und die Spuren verwischen sich immer mehr.

Brausender Freiheitsgesang. In den Liedern, die von den frühen Arbeiterchö­ren gesungen wurden, spiegeln sich die Lebensverhältnisse der Arbeiterschaft, vor allem der Fabrikarbeiter und Berg­leute, und ihre Sehnsucht nach Verbes­serung ihrer sozialen Verhältnisse und nach gesellschaftlicher Anerkennung ihres Standes.

Hanau 1906, Fest des Sängerbun­des Rhein-Main. Aus 1 179 Männer­kehlen klingt »Empor zum Licht!«

1906 waren beim 3. Bundesfest des Sän­gerbundes Rhein-Maingau in Hanau (Motto: »Heil freiem Volk! Heil freiem Lied!«) als Massenchöre gesungen wor­den: »Empor zum Licht« (1179 Sänger), »Festgesang« (1054Sänger), »Stolz und kühn« (587 Sänger), »Dem Lenz entge­gen« (451 Sänger), alle von Gustav Adolf Uthmann, ferner »Liebeslust« (562 Sän­ger unter einem Hanauer Dirigenten na­mens Josef Centner) und »Wir glauben an der Freiheit Sieg« (284 Sänger), beide von O. Suchsdorf.

Auf den Vortragsfolgen von späteren Veranstaltungen finden sich noch weite­re Titel. Sie lassen sich zu einem politi­schen Programm aneinanderreihen:

Der tonangebende Komponist ist G. A. Uthmann. Klangliche Wucht wird seinen Liedern nachgerühmt.

»Aus Arbeitsstätten voller Lärm«. »Lied der Bergarbeiter«. »Im dunklen Schacht«. »Grubenunglück«. »Opfer der Arbeit: Halbmast die Fahnen«. »An der Bahre«. »Das arme Kind«. »Wir bau­en eine neue Welt«. »Auf, Sozialisten, schließt die Reihen«. »Ein Sohn des Vol­kes will ich sein und bleiben«. »Seht, wie die Söhne der Arbeiter streben«. »Wir wollen Sturm«. »Unser Lied«. »Kampf­lied«. »Frei wollen wirsein«. »Brause, du Freiheitsgesang«. »Der Freiheit mein Lied«. »Der Freiheit eine Gasse«. »Der Völker Freiheitssturm«.

Uthmanns Bannerträger. Auch wer die­se Lieder nicht kennt, kann sich den Inhalt ebenso vorstellen wie die aus der Zeit geborene wohltönende Mischung aus Kämpfertum und Pathos, von der die Texte durchrauscht waren. Bei dem Lied aber, das sich im Maingebiet der größten Beliebtheit erfreute und das offenbar mit besonderer Inbrunst geschmettert wurde, »Tord Foleson«, bleibt der Titel stumm. Es bedurfte eines beträchtlichen Spür­sinns, der bis zum Fränkischen Sänger­museum in Feuchtwangen führte, um die beiden rätselhaften Worte und die Bedeutung zu entschlüsseln, die sie da­mals hatten.

Der Gesang ist eine nordisch-balladeske Parabel und schildert den Kampf einer »neuen« gegen eine »alte« Zeit. Tord Foleson trägt das Banner der neuen Zeit. Der Bezug zur Arbeiterbewegung mit ihrem Glauben an die auch den individu­ellen Tod überwindende Kraft der Idee stellt sich ein, wenn der zu Tod getroffe­ne Tord Foleson mit letzter Kraft das Banner in die Erde stößt. Dann jauchzt der Chor den Liedschluß, der zum Bannerspruch vieler Arbeiter-Gesangverei­ne geworden war:

»Tord fiel zu Boden, doch das Banner stund. Und das ist das Herrliche, Große auf der Welt: Das Banner kann stehen, wenn der Mann auch fällt!«.

Der Chor »Tord Foleson« stammt von Gustav Adolf Uthmann. 1867 in Wuppertal-Bar­men geboren, war er der erfolgreichste Komponist von Arbeitergesängen und hat mit seinen Chören wie kein Zweiter die Arbeiter-Sängerbewegung geprägt. Die klangliche Wucht seiner Komposi­tionen ließ den einfachen Menschen das empfinden, was er nicht zu formulieren vermochte. Uthmanns Lieder bestritten oft ganze Sängerfeste. Allein vier der sechs Gesänge, die 1906 in Hanau beim Bundesfest Rhein-Maingau dargeboten wurden, waren von ihm. Er starb 1920.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Repertoire erweitert und erhielt einen neuen Schwerpunkt. Neben dem Frei­heits- und politisch-sozialistischen Kampflied wurde jetzt auch das Volks- ­und Kunstlied gepflegt. Darüber wird später noch etwas zu sagen sein.

Erste Vereine. »Edelweiß« Main­aschaff, »Union« Aschaffenburg und »Bruderkette« in Schaafheim.

Bayern und Preußen. Es ist heute schon nicht mehr möglich, eine vollständige Liste der Chöre zusammenzustellen, die in unserem Raum existiert haben. Die mehrfach erwähnte Festschrift zum Ha­nauer Fest des Bundes Rhein-Maingau von 1906, die durch einen Zufall erhalten blieb, hat sich auch in dieser Hinsicht als eine wichtige Quelle erwiesen. (Anmerkung Manfred: Ich besitze noch zwei Exemplare!)

Sie nennt unter den 135 Chören, die damals im Sängerbund Rhein-Main-Gau zusammengeschlossen waren, drei aus dem bayerisch-hessischen Untermain­gebiet, nämlich »Edelweiß« aus Main­aschaff bei Aschaffenburg, »Union« aus Aschaffenburg und »Bruderkette« aus Schaafheim bei Dieburg.

Mainaschaff und Aschaffenburg sind bayerische Orte. Nach 1906 entstanden am bayerischen Untermain noch weitere Vereine. Sie schlossen sich ebenfalls dem Bund Rhein-Maingau an, dessen Zentrum im heutigen Hessen lag, das damals zu Preußen gehörte. Das ist nicht ungewöhnlich. Im westlichen Unterfran­ken bestand zu jener Zeit und noch viel später im Vereinswesen eine die Staats­grenze übergreifende starke Orientie­rung zum Rhein-Main-Gebiet. Sie läßt sich auch in anderen Massenorganisa­tionen, zum Beispiel bei Turn- und Sport­vereinen, feststellen.

Die 132 anderen Chöre, die in der Hanau­er Festschrift als zum Bund Rhein-Main­gau gehörend aufgeführt sind, waren im Großraum Frankfurt/Darmstadt/Wies­baden/Worms ansässig.

Textbeispiele:

Arbeiter-Bundeslied.

Bet’ und arbeit’ ruft die Welt, bete kurz, denn Zeit ist Geld, an die Türe pocht die Not, bete kurz, denn Zeit ist Brot. Und du ackerst, und du sä’st, und du nietest, und du näh’st und du hämmerst und du spinnst, sag’, o Volk, was du gewinnst?

1863 gründete Ferdinand Lassalle mit dem »Allgemeinen deutschen Arbeiter­verein« die erste Partei der Arbeiterbe­wegung. Auf seinen Wunsch verfaßte der Dichter und Revolutionär Georg Her­wegh dieses Lied aIsBundeslied. Es wur­de unter dem Pseudonym W. Solinger von Hans von Bülow vertont. Lasalle regte auch in Frankfurt die Gründung des ersten Arbeiter-Gesangvereins an.

Empor zum Licht.

Empor zum Licht! Es wich die Nacht, Nur Wolken noch decken der Sonne Pracht. Erwache, Volk, Erwache!

Die neue Zeit, sie ist genaht, Männer und Frauen, nun auf zur Tat! Reicht euch die Hände zum Freiheitsbund, Donnernd es töne vom Erdenrund, Erwache, Volk, erwache!

Zum dichten Wall schließt eure Reih’n, Da kann nicht Sorge noch Not hinein! Fest wie ein Felsen im wilden Meer Steht dann der Arbeiter gewalt’ges Heer. Erwache, Volk, erwache!

Herbei, herbei aus Stadt und Land, Nehmet den Hammer in eure Hand! Schmiedet und schmiedet! Die Kette springt! Das neue Jahrhundert ihr euch erringt! Erwache, Volk, erwache! Empor zum Licht!

Dieser Chor wurde von Gustav Adolf Uthmann vertont, der im wahr­sten Sinn der tonange­bende Komponist von Arbeiterchören war. »Empor zum Licht« wurde unter anderem als Massenchor von 1 179 Sängern auf dem 3. Bundesfest gesun­gen, das der »Arbeiter­Sängerbund für den Rhein- und Maingau« 1906 in Hanau abhielt. Dem Festbuch, das aus diesem Anlaß erschien, verdanken wir die er­sten Nachrichten über die Existenz von Arbei­ter-Gesangvereinen am bayerisch-hessi­schen Untermain.

Tord Foleson.

Sie standen in Norwegs Feld gerüstet zum Streit: Die alte gegen die neue Zeit. Das, was mußt’ fallen, gegen das, was bestehn sollt’; Das, was wollte wachsen, gegen das, was vergehn sollt’.

Da zogen das Schwert sie zur selbigen Stund’, Der kühne, junge Olaf und der graue Torehunt. Und der Heerruf erscholl, daß die Erdfesten dröhten, Und die Pfeile schwirrten und die Spieße stöhnten.

Nun meldet die Sage: Da trug ein tapfrer Mann, Tord Foleson, Olafs Banner voran. Von diesem Bannertäger wird man singen und sagen, Solang man in Norweg Banner wird tragen.

Denn wie er die tödliche Wunde empfing, Weit vor in den Kampf mit dem Banner er ging. Und bevor er fiel, mit der letzten Kraft Fest in die Erde stieß er den Schaft.

Und die alte Sage, sie tut uns kund: Tord fiel zu Boden, doch das Banner stund! Und solches soll fürder ein jeder noch wagen, Der das Freiheitsbanner im Kampf mag tragen.

Der Mann mag sinken, wenn das Banner nur steht, Gleich jenem in Norweg Feld, wie die Sage geht. Und das ist das Herrliche, Große auf der Welt: Das Banner kann stehen, wenn der Mann auch fällt!

Das ebenfalls von Uth­mann komponierte nordisch-balladenhaf­te »Tord Foleson« ge­hörte zu den Leib- und Magenliedern der Ar­beitersängerbewe­gung. In mythischer Verklärung vermittelt es die Zuversicht, die aus der Kraft der Idee kommt, die den Tod des Individuums über­dauert. Uthmann starb 1920, und auch nach seinem Tod gehörte »Tord Foleson« noch lange Zeit zum Reper­toire der Arbeiter-Ge­sangvereine. Beson­ders gern wurde es am bayerisch-hessischen Untermain aufgeführt. Belegt ist das für Bürg­stadt, wo »Tord Fole­son« 1927 bei der Ein­weihung eines Denk­mals für den 1925 ge­storbenen Reichsprä­sidenten Friedrich Ebert erklang.

Alle Arbeiter-Gesangvereine haben ein gemeinsames Schicksal: Verbot durch die Nazis 1933.

Vom Ende des vergangenen Jahrhunderts an entstanden in vielen Orten Arbeiter-Gesang­vereine. Ihnen allen gemeinsam ist das Schicksal des Verbots durch die Nationalsozialisten. Das Vermögen wurde beschlag­nahmt, die Noten und der Schrift­verkehr wurden vernichtet, die Fahnen mißhandelt. In Krom­bach schmetterten die Arbeiter­sänger im April 1933 noch in einer Veranstaltung der NSDAP »Der Völker Freiheitssturm«, dann lösten sie sich schnell sel­ber auf, verkauften ihr Harmo­nium und setzten das Bargeld in Bier um. In Stockstadt schmug­gelte ein Mutiger aus dem Ver­einsschrank, der bereits versie­gelt war, noch die Noten einiger Arbeiterchöre heraus. In Schaaf­heim, wo das Geld auf Sparkon­ten lag, hoben die Sänger vor der Beschlagnahme der Sparbücher schnell noch Beträge ab. Das kam heraus und die Polizei fahn­dete nach dem Geld.

Die Schrift, die 1906 in Hanau zum Fest des Sängerbundes Rhein-Maingau er­schien, zählt drei Vereine auf, die damals am hessisch-bayerischen Untermain be­standen. IhrSchicksal läßtsichheute nur noch aus Nachrichten übereinzelne Epi­soden ihres Vereinslebens umreißen.

Ein »unpolitischer« Arbeiterchor. Der älteste war »Edelweiß« in Mainaschaff. Er wurde am 1. November 1893, also noch vor dem Sängerbund Rhein-Main­gau, als Gesangverein »Edelweiß-Main­aschaff« gegründet und hatte damals 30 aktive Mitglieder.

Am 19. November 1893 unterschrieb der Ausschuß (Vorstand Joseph Schättler, Kassier Benedikt Elbert, Schriftführer Johann Fleckenstein, Conservator Mar­tin Roth, außerdem drei Beisitzer und zwei Revisoren) ein Papier, in dem der »Zweck« des Vereins festgelegt wurde, er sei die »Pflege und Ausbildung des mehrstimmigen Männergesanges in ge­sellschaftlicher Einigung und Erhellung des Gemütes und Veredlung des Gei­stes. Die Verfolgung politischer Ziele ist für immer ausgeschlossen«.

Trotz der Betonung des unpolitischen Charakters kann »Edelweiß« als Arbei­terverein eingestuft werden. Vielleicht bestand kurz nach Beendigung des Drucks, der vom Sozialistengesetz aus­ging, einfach das Bedürfnis, sich so zu deklarieren, daß man in Ruhe gelassen wurde. Bald nach »Edelweiß«, 1895, ent­stand überdies in Mainaschaff ein zwei­ter, rein bürgerlicher Gesangverein, der dem »Edelweiß«-Chor die guten Stim­men abzuwerben versuchte.

Gleichgeschaltet, aber nicht verboten. Außerdem schloß sich »Edelweiß« den Organisationen des Arbeitergesangver­einswesens an. Er trat dem »Allgemei­nen Deutschen Arbeiter-Sängerbund« bei und wurde Mitglied des Sängerbun­des Rhein-Maingau. Ab 1910 beteiligte er sich regelmäßig an den Konkurrenz­singen in Frankfurt, Hanau, Babenhau­sen, Seligenstadt , Schaafheim und Aschaffenburg. Geboten wurden jeweils ein Freiheitschor und ein Volkslied. Bei dem Konkurrenzsingen, das am 26. Juli 1914 in Seligenstadt abgehalten wurde, erreichten die Mainaschaffer den vierten Platz der Wertung.

Im Juni 1925 feierte Edelweiß sein 30jäh­riges Bannerweihfest. Gleichzeitig hielt der 16. Bezirk des Rhein-Maingau-Bun­des in Mainaschaff das erste seiner Be­zirkssängerfeste ab.

Kurz bevor der Verein sein 40jähriges Bestehen hätte feiern können, zogen dunkle Wolken auf. Er wurde von den Nationalsozialisten »gleichgeschaltet«, Die Vorstandschaft mußte zurücktreten, Männer, die den neuen Machthabern genehmer waren, übernahmen die Lei­tung. Während sich aber damals die an­deren Arbeiter-Gesangvereine unter po­litischem Druck auflösen mußten, konn­te »Edelweiß« seinen Chor über Wasser halten. Vielleicht kam dem Verein dabei der Satz über den Ausschluß politischer Zielsetzungen zu Hilfe.

Aschaffenburger »Union«. Der Aschaf­fenburger »Arbeiter-Gesangverein Uni­on« wurde 1896 gegründet und muß ein sehr aktiver Chor gewesen sein. Trotz­dem blieb kaum etwas über ihn erhal­ten.

Am 10. und 11. Juli 1926 feierte er sein 30jähriges Bestehen. Es war mit dem 2. Bezirkssängerfest verbunden. Der Platz, auf dem gefeiert wurde, ist heute nicht mehr vorhanden. Es war die »Schieß­haus« genannte weitläufige Anlage der »Kgl. Priv. Schützen-Gesellschaft« in der Ludwigsallee 2 (heute Pestalozzi­schule), auf der sich das Vereinshaus und die Schießanlagen befanden und in der auch andere Vereine gern ihre Feste abhielten. Dort war am Samstagabend Kommers, dorthin zog am Sonntag, nachdem die auswärtigen Vereine ein­getroffen waren, der Festzug, dort er­klangen Einzel- und Massenchöre.

Wirtschaftskrise, Inflation, Notzeit. Mancher Arbeiter kann sich nach der Probe kein Bier mehr leisten.

Die liberale »Aschaffenburger Zeitung« veröffentlichte mit der Überschrift »Sin­ge, wem Gesang gegeben« einen knap­pen Bericht: »Zum 30jährigen Stiftungs­fest des hiesigen Arbeiter-Gesangver­eins, verbunden mit 2. Bezirks-Sänger­fest, hatten sich gestern auch zahlreiche Teilnehmer von auswärts eingefunden. Die Veranstaltungen spielten sich haupt­sächlich in den festlich geschmückten Schießhausanlagen ab. Der vorüberge­hend eingesetzte Regen konnte der Ge­selligkeit und Eintracht und dem Froh­sinn keinen Abbruch tun.

Manch schöner, erhebender Gesang kam zu Gehör, und man kann sich nur darüber freuen, dass auch in freien Arbei­terkreisen Volkslied und volkstümlicher Chor begeisterte Anhängerschaft ha­ben. Die Mühe der Dirigenten hat gute Früchte gezeitigt. Die Stadtkapelle Aschaffenburg trug dazu bei, die Fest­lichkeiten genussreich zu gestalten. An dem Festzug, der sich nachmittags nach 2 Uhr zum Festplatz bewegte, nahmen außer den Sangesbrüdern auch Turner­ und Radfahrerabteilungen teil. Eine Anzahl Häuser hatte mit republikani­schen und bayerischen Farben ge­flaggt.«

Damals hatte der Chor 32 Aktive, sein Dirigent war der Musiklehrer Richard Kramer, der bis 1945 dem Lehrkörper der Aschaffenburger Musikschule angehör­te. 1928 wurden die Aschaffenburger Ar­beitersänger nach Bürgstadt eingela­den. Der dortige Arbeiter-Gesangverein hatte zwei Jahre zuvor in Aschaffenburg am Jubiläumsfest der »Union« teilge­nommen und beging nun seine Fahnen­weihe, bei der die »Union« Patenverein war. Über das Ende der »Union«, das wohl dem der anderen Arbeiterchöre glich, war nichts zu ermitteln.

Drei Tage Fahnenweihfest. Der jüngste der drei Vereine, die die Hanauer Fest­schrift aufführt, ist der »Arbeiter-Ge­sangverein Bruderkette« in Schaafheim, das damals zum Großherzogtum Hes­sen-Darmstadt gehörte. Er wurde 1903 von Maurern, Zimmerleuten, Handwer­kern und Arbeitern gegründet, die sich wegen der schlechten sozialpolitischen Lage zusammengeschlossen hatten, um gemeinsam zu singen und für die Ziele der Arbeiterschaft zu kämpfen. Der Ver­ein zählte 35 Aktive.

Zur selben Zeit entstanden auch in den Nachbarorten Langstadt, Sickenhofen, Babenhausen, Dudenhofen, Spach­brücken und Reinheim Arbeiter-Ge­sangvereine, zu denen enger Kontakt gehalten wurde.

Bereits 1907 konnte sich »Bruderkette« eine Fahne leisten. Sie wurde von dem damaligen Landtagsabgeordneten Karl Ulrich enthüllt und trug den Wahl­spruch: »Sind wir von der Arbeit müde, ist noch Kraft zu einem Liede«. Die Be­völkerung hatte den Ort mit Girlanden und Fahnen geschmückt und feierte das dreitägige Fahnenweihfest mit.

Das Vereinsleben verlief in geordneten Bahnen, man sang Freiheitschöre wie »Empor zum Licht«, aber auch das ro­mantische »Tief ist die Mühle« und »Abendglöckchen« oder »Seemanns­treue«. Im Ersten Weltkrieg, der 24 Aktive in den Tod riß, ruhte der Verein. Ab 1919 blühte der Chor wieder auf, bald zählte man an die 100 aktive Sänger. Am 27. Juni 1928 wurde das 25-jährige Bestehen gefeiert und gleichzeitig das 4. Bezirks­sängerfest abgehalten.

Dem lernbeflissenen Arbeiter, den die sozialistische Bewegung heranziehen wollte, stellten die Arbeitergesangvereine den an kultureller Bildung interessierten Genossen zur Seite. Sinnige Illustrationen zeigten ein Band, das sich vom Hobel zur Lyra schlingt. Die Harmonie der Gesänge symbolisiert die Solidarität der Generationen. Die Inschrift baut auf den Gleichklang von Freizeit und Freiheit.

 

 

 

Verbot und Auflösung. In Schaaf­heim werden die Guthaben auf ein Beschlagnahmekonto überwiesen.

Not und Verbot. Die Wirtschaftskrise und die Inflation brachten viele Sänger in Not. Manche wurden arbeitslos und konnten sich nach der Probe nicht ein­mal mehr ein Glas Bier leisten. Dass der Verein überlebte, verdankt er seinem da­maligen Chorleiter Darmstädter, einem Idealisten, der nicht nur die Singstunden kostenlos abhielt, sondern auch, Singen macht Durst, manche Maß Bier stiftete. 1933 zerriss die »Bruderkette« unter der braunen Gewalt, von der alle Arbeiter­-Gesangvereine betroffen waren. Ab­schriften von einigen der in diesem Zu­sammenhang entstandenen Schrift­stücke sind im Gemeindearchiv erhalten und geben einen bruchstückhaften Ein­blick in die Art und Weise, in der die neuen Machthaber gegen die Arbeiter­gesangvereine vorgegangen sind.

Die hessische Staatsregierung hatte die »Bruderkette« als »marxistischen Ver­ein« eingestuft und die Auflösung ange­ordnet. Das Hessische Kreisamt Die­burg, die Vorgängerbehörde des späte­ren Landratsamts, hatte die Auflösung und die Beschlagnahme des Vermögens verfügt. Das Kassenbuch mußte nach Dieburg abgeliefert werden. Die Polizei zog die Sparbücher der Konten ein, auf denen das Geld des Vereins lag.

Beschlagnahmekonto Nr.40. Für die Vermögen verbotener Organisationen, zu denen nicht nur die Arbeiter-Gesang­vereine gehörten, waren bei der Diebur­ger Zweigstelle der Bezirkssparkasse Groß-Umstadt Beschlagnahmekonten eingerichtet worden. Das für die »Bru­derkette« vorgesehene Konto hatte die Nummer 40, ein Beleg dafür, wie vielen missliebigen Gemeinschaften in dem re­lativ kleinen Dieburger Amtsbezirk die Mittel entzogen wurden.

Die Sparkassen, auf denen die »Bruder­kette« ihr Geld hatte, ein Konto bestand übrigens beim »Konsumverein für Aschaffenburg und Umgebung«, erhiel­ten die Nachricht, daß die Konten ge­sperrt sind. Sie wurden angewiesen; Guthaben und Zinsen auf das Beschlag­nahmekonto Nr. 40 zu übertragen.

Der Besitz wird verschleudert. Spä­ter wird die Fahne wiedergefun­den, zerrissen und beschmutzt.

Die »Bruderkette«-Leute hatten noch geglaubt, den zeitlichen Spielraum nut­zen zu können, der zwischen Verbot und Beschlagnahme lag. Vor der Beschlag­nahme hatten sie Beträge abgehoben und, als »Vergütungen« deklariert, an die Vorstandsmitglieder ausgezahlt. An­hand des Kassenbuchs konnte aber die Differenz leicht ermittelt werden. Das Kreisamt setzte in Schaafheim die Gen­darmerie, die Bürgermeisterei und den NSDAP-Ortsgruppenleiter in Bewegung. Sie mußten wegen Vermögensver­schiebungen ermitteln und die Beträge zurückverlangen, damit auch sie auf das Beschlagnahmekonto kamen.

Auch das Notenmaterial wurde den Sän­gern weggenommen, das Klavier kam in ein Arbeitsdienstlager nach Seligen­stadt. Das Mobilar wurde an Parteifreun­de gegen niedrigstes Gebot verschleu­dert. Später fand man die Vereinsfahne wieder, sie war zerrissen und ver­schmutzt. Einem Sänger war es 1933 gelungen, das Protokollbuch sicherzu­stellen, so dass in diesem Fall die Vereins­geschichte, deren Verlauf für viele ande­re Arbeiter-Gesangvereine typisch sein mag, gut nachzuzeichnen ist.

 

Die »Freien Klänge«, die die Liederbücher des Arbeitergesangvereinswesens ent­hielten, verleugneten nicht die Anklänge an den Geist der Französischen Revolu­tion, von dem sie leitmotivisch durchzogen waren. Büchelchen dieserArt waren der Obrigkeit ein Dorn im Auge und sind heute, auch im verblassten und ramponierten Zustand, seltene Beleg- und Sammlerstücke.

 

Miltenberg und Lützel-Wiebelsbach. In der Hanauer Festschrift sind zwei Verei­ne nicht aufgeführt, die vor 1906 gegrün­det worden sind und über die nur spärli­che Nachrichten vorliegen. Im hessi­schen Lützel-Wiebelsbach gab es einen Verein, von dem nur bekannt ist, daß er 1926 in Anwesenheit des »Arbeiter-Ge­sangvereins Bürgstadt«, über den im dritten Teil noch viel zu lesen sein wird, sein 25. Stiftungsfest feierte. Er muss also 1901 gegründet worden sein.

Umgekehrt ist von dem anderen Verein, dem 1903 in Miltenberg entstandenen »Arbeiter-Gesangverein Eintracht«, nur die Gründung bekannt. Er ist nicht zu verwechseln mit dem bürgerlichen Ge­sangverein »Gesellschaft Eintracht Mil­tenberg«. Jakob Schirmer, derzwischen 1869 und 1905 Bürgermeister von Mil­tenberg war, erwähnt ihn in seinen Erin­nerungen, die in Handschrift vorliegen:

»Die soziale Frage, welche seit einer Reihe von Jahren im politischen Leben Deutschlands eine so große Rolle spielt und in viele Verhältnisse störend ein­greift, war auch der Grund, warum sich am 12. März 1903 eine Anzahl von Arbei­tern zusammenfand, welche von den be­stehenden Vereinen noch einige Sänger an sich zog, und einen neuen Gesang­verein unter obigem Namen gründete, der, gleichen Zwecken wie die übrigen Gesangvereine huldigend, lediglich Arbeiter unter seinen 24 Mitgliedern zählt.«

Wer dreimal fehlt, fliegt. Zwischen 1906 und dem Ersten Weltkrieg wurden zahl­reiche neue Arbeiter-Gesangvereine ge­gründet. Im oberen Kahlgrund entstand 1908 in Krombach (heute Ortsteil von Schöllkrippen) der Arbeiter-Gesangver­ein »Frohsinn«. Aktive wie passive Mit­glieder zahlten 40 Pfennig Monatsbei­trag. Das war viel Geld, und man kann daran erkennen, mit welchem Idealis­mus die Krombacher zu ihrem Verein standen. Daß sie auch ein Herz hatten, zeigt der Beschluß, Mitgliedern, die zum Militär eingezogen waren, bei ihrem er­sten Urlaub drei Mark aus der Vereins­kasse zu spendieren.

Streng wurde auf Ordnung geachtet. Wer nicht zur Probe kam, zahlte 10 Pfen­nig Strafe, und wer dreimal unentschul­digt fehlte, flog. 1922 trat man dem »Ar­beiter-Sängerbund« bei und reiste schon im Mai 1924 auf geschmückten Pferdewagen nach Aschaffenburg, wo im Frohsinnbau (Weißenburger Straße, nicht mehr vorhanden) ein Wertungssin­gen stattfand. Im selben Jahr wurde ein Klavierangeschafft, es kostete 340 Mark. Zwei Jahre später gab es eine Spaltung. Eine Anzahl Sänger löste sich und grün­dete eine eigene Vereinigung unter dem für eine Abspaltung sinnigen Namen »Arbeiter-Sängerquartett Eintracht«. 1931 fanden beide Gruppen wieder zu­sammen und nannten sich nun »Freie Sängervereinigung Krombach«.

Die Krombacher lösen sich selbst auf. Sie verkaufen ihr Harmonium und setzen das Geld in Bier um.

»Freiheitssturm« in Nazi-Ohren. Auch als »Sängervereinigung« verloren die Krombacher nicht ihren Charakter. Den Nazis gegenüber legten sie eine Mi­schung von Schneid und Pfiffigkeit an den Tag. Im Protokollbuch ist unter dem 9. April 1933 nachzulesen:

»Die NSDAP hatte den Gesangverein zur Verschönerung eines >Deutschen Abends< zum Vortrag einiger Lieder ein­geladen. Wir sind der Einladung gefolgt und brachten zum Vortrag >Der Völker Freiheitssturm< und >Ich warte Dein<. Nachdem die Aufführung kaum zu Ende war, ging ein Flüstern durch den Saal. Wir Sänger zogen uns ins Vereinslokal zurück. Um noch etwas zu retten, nah­men wir pro forma die Auflösung der >Freien Sängervereinigung< vor. Die Ver­einschränke und das Harmonium wur­den verkauft und das Barvermögen in Bier umgesetzt.«

Gründungsprotokoll des GV Edelweiß Mainaschaff vom 19.11.1893

 

»Vorwärts« mit Damen. 1911 entstand in Kahl der »Arbeiter-Gesangverein Vor­wärts«. In der Anfangszeit gehörten ihm 80 aktive Mitglieder an. Nach dem Ersten Weltkrieg erlebte der Verein eine zweite Blüte. Man gründete 1925 eine Frauen­chor-Abteilung, die den Namen »Lyra« trug. 1933 erlitt der Verein das Schicksal der anderen Arbeiterchöre.

1913 wurde in Stockstadt bei Aschaffen­burg der »Arbeiter-Gesangverein Sän­gerlust« gegründet. In einer später er­schienenen Festschrift heißt es darüber: »In Deutschland hatte eine Reihe von Friedensjahren Industrie und Handel zur vollsten Blüte gebracht und niemand ahnte, daß über diesem Glück schon der Schatten des Ersten Weltkriegs lagerte. In jene entwicklungsfrohe Zeit fiel die Gründung des AGVs Stockstadt. Es waren nur neun Männer, die sich damals im Gasthaus >Zum En­gel< ein Stelldichein gaben und den Grundstein legten. Ihre Begeisterung zur neuen Sache und ihre Liebe zum Gesang überwand alle Hindernisse und so wurde am 31. August (1913) derArbei­ter-Gesangverein >Sängerlust< aus der Taufe gehoben.

Es war nur eine kleine Schar von Ideali­sten, die außer ihrer Begeisterung für das deutsche Lied über keine materiel­len Güter verfügten. Mit geliehenen No­ten, die die Brudervereine aus Großost­heim, Schaafheim und Seligenstadt zur Verfügung stellten, ging man zuversicht­lich ans Werk. Schon nach wenigen Wo­chen traten die Sänger mit dem Chor >Empor zum Licht< erstmals an die Öf­fentlichkeit.«

Lampionzug und schneidige Märsche. Nur ein Jahr war dem jungen Chor ver­gönnt, dann machte der Krieg dem Wei­terwachsen ein Ende. Der hoffnungsvol­le Neubeginn nach dem Ende des Krie­ges erreichte 1927 seinen Höhepunkt, als in Stockstadt das 3. Bezirkssänger­fest abgehalten wurde. Der Bericht, den die »Aschaffenburger Zeitung« darüber veröffentlichte, zeigt, daß um diese Zeit die Arbeiter-Gesangvereine viele For­men des bürgerlichen Vereinslebens übernommen hatten:

»Stockstadt a. Main. Das diesjährige Ar­beiter-Gesangsfest, das dem hiesigen Arbeiter-Gesangverein übertragen war, wurde in den Tagen des 25., 26. und 27. Juni gefeiert. Eröffnet wurde das Fest am Samstagabend mit einem Lampion­zug, der durch ein schönes Musikstück des hiesigen Musikvereins eingeleitet wurde. Gesangliche und radsportliche Darbietungen der Ortsvereine trugen zum weiteren Gelingen des Kommerses bei.

Am Sonntag zog um 6 Uhr früh die Musik­kapelle durch die Ortsstraßen und man bekam schneidige Märsche zu hören. Die Mittagsstunden brachten zahlreiche Vereine der näheren und weiteren Um­gebung in unseren Ort. Nachmittags 2 Uhr bewegte sich dann der Festzug, der eine riesige Beteiligung aufwies, durch die reichgeschmückten Ortsstraßen zum Festplatze. Nach kernigen Anspra­chen entwickelte sich hier ein fröhliches Treiben. Als Abschluß fand am Montag eine kleine Nachfeierstätt. Alles in allem: der hiesige Arbeiter-Gesangverein kann stolz auf diese Tage zurückblicken.«

In Stockstadt schmuggelt ein Muti­ger aus dem versiegelten Vereins­schrank noch einige Noten heraus.

1933 wurde die Entwicklung durch das Verbot jäh beendet. Einem Mutigen ge­lang ein kleines Husarenstückchen. Er konnte aus dem bereits versiegelten Ver­einsschrank noch die Noten einiger Frei­heitschöre herausschmuggeln, um sie der Nachwelt zu erhalten.

Nur einige Vereine entstehen neu. Lediglich zwei führen heute noch das Wort »Arbeiter« im Namen.

Dass es beim Singen auch Harmonie oh­ne klassenkämpferische Dissonanzen geben kann, beweist der »Gesangverein 1863« von Klingenberg. In diesem Chor sangen seit seiner Gründung Arbeiter, Bergleute, Fischer, Handwerker, Ge­schäftsleute, ja sogar der Apotheker und der Amtsrichter einträchtig miteinander, ohne daß es aus politischen Gründen zu Unstimmigkeiten gekommen wäre.

Das hatte auch der Offenbacher Musik­verleger Ludwig Andre, der lange Jahre Vorsitzender des Maintal-Sängerbun­des war, bei seiner Festrede zum 16. Bundesfest in Klingenberg betont. Sol­che Gemeinsamkeit sollte auch an ande­ren Orten Schule machen, wo sich Bür­ger-Gesangvereine und Arbeiter-Ge­sangvereine gegenseitig befehdeten und miteinander konkurrierten.

Nun ist das »Phänomen Klingenberg« leicht zu erklären. Die durch ihr Tonberg­werk reich gewordene kleine Stadt konnte es sich leisten, jedem Bürger alljährlich zwischen 100 und 400 Mark als »Bürgergeld« auszuzahlen. So wa­ren die Klingenberger Arbeiter und Berg­leute finanziell besser gestellt als ihre Genossen in anderen Orten und es man­gelte nie am Geld für das nach der Chor­probe fällige Bier oder den Schoppen.

Man sang mit der gleichen Begeisterung Silcher- und Schubertlieder, aber auch Arbeiterlieder wie »Die Grube brennt«, »Bergmannslos« und »Die Gedanken sind frei«. Niemand störte sich daran und der Dirigent erst recht nicht, er kam aus dem Arbeiterstand und war Schuhma­cher. Im Laufe seines Bestehens sah der Verein einen Schneider und einen Schmied als Vorsitzende und einen Bergarbeiter als Kassier.

»Nachtzauber« beim Jünglingsverein. Bei den Arbeitersängern hatte der Erste Weltkrieg nicht nur die Weiterentwick­lung der bestehenden Vereine ge­hemmt, sondern auch die Reihe der Neu­gründungen unterbrochen. Die 1920er Jahre erwiesen sich dafür dann wieder als ein guter Nährboden.

1922 entstand der »Arbeiter-Gesangver­ein Liederblüte Dettingen«. Er begann mit 24 Aktiven und erreichte beachtliche Chorleistungen. 1933 ereilte ihn das Schicksal der anderen Vereine. Bestan­den haben 1922 schon Arbeiter-Gesang­vereine in Kleinheubach und Reisten­hausen-Fechenbach, deren Gründungs­daten unbekannt sind.

Die Kleinheubacher hatten im Gegen­satz zu anderen Arbeiter-Gesangverei­nen keine Probleme mit der Kirche oder den einheimischen konservativen Kräf­ten. Sie traten neben der örtlichen »Sän­ger-Vereinigung« auf, als der Katholi­sche Männer- und Jünglingsverein sein 25. Stiftungsfest feierte. Ehrenprotektor des jubilierenden Vereins war der in Kleinheubach residierende Alois Fürst zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, ein herausragender Repräsentant des katholischen Verbandswesens.

Allerdings boten die Gesänge, »Das El­ternhaus« und »Nachtzauber«, auch kei­ne Reibungspunkte. Am 10. August 1922 hielten die Kleinheubacher Arbeitersän­ger, wie wir bald in anderem Zusammen­hang erfahren, ein Sängerfest ab.

Eine komplette Vereinsgeschichte. Die Nachrichten über die Existenz der 1922 bereits bestehenden Vereine von Klein­heubach und Reistenhausen-Fechen­bach sind einem jener Glücksfälle zu verdanken, auf die jeder Forscher hofft und die gelegentlich sogar eintreten.

1922 war der »Arbeiter-Gesangverein Bürgstadt« gegründet worden. Sein Schicksal ist in einem Protokollbuch aufgezeichnet, das von einem Sänger vor der Vernichtung bewahrt und kürz­lich von seinen Erben dem Markt Bürg­stadt übergeben wurde. Dieses Proto­kollbuch enthält mit der Geschichte der Bürgstädter Arbeitersänger die vollstän­digste Schilderung des Lebens eines Ar­beiter-Gesangvereins, die in unserem Gebiet aufzufinden war. Außerdem gibt es mit der Erwähnung anderer Vereine auch Hinweise auf Chöre, von denen wir sonst nichts wüßten.

Es beginnt: »Am 1. Mai 1922, dem Welt­feiertag des Proletariats, wurden durch den Arbeiter-Gesangverein Reistenhau­sen-Fechehbach bei der Mai-Kundge­bung einige Chöre vorgetragen. Da er­wachte auch in der BürgstädterArbeiter­schaft der Wunsch, einen Chor zu grün­den. Am 10. August 1922 lud derArbeiter­Gesangverein Kleinheubach die Bürg­städter zu ihrem Sängerfest ein. Einen Tag später trafen sich auf Anregung von Johann de Mattia die Genossen im Gast­haus >Zum Adler< und gründeten den >Arbeiter-Gesangverein Bürgstadt<«.

Strenge Bräuche. Bei den Bürgstädter Arbeitersängern herrschte Ordnung. Wer Chormitglied werden wollte, hatte zuerst während dreier Proben seine San­geskünste den kritischen Ohren des Chorleiters darzubieten, dann mußte er vom Ausschuß akzeptiert und schließ­lich von allen Chormitgliedern per Stimmzettel gewählt werden.

Es wurde Buch darüber geführt, wer zur Probe kam. Als der Schriftführer dreimal geschwänzt hatte, wurde er gnadenlos »passiv geschrieben«, das heißt, aus dem Chor in den Zustand des zahlenden Mitgliedes versetzt. Wegen Beleidigung des Dirigenten wurden zwei andere Sän­ger aus dem Chor ausgeschlossen.

Das Geld war knapp. 1926 reichte es gerade für einen Notenschrank und eine Glocke, für Notenumschläge und einige Schnellhefter. Trotzdem waren die Bürgstädter sehr reisefreudig und sie fanden auch immer einen Grund, sich auf den Weg zu machen.

»Tord Foleson« für Friedrich Ebert. Im Laufe derJahre ging es nach Aschaffen­burg(1926, 30. Stiftungsfest der »Union« und 2. Bezirkssingen), Lützel-Wiebels­bach (1926, 25. Stiftungsfest), Stock­stadt (1927, 3. Bezirkssingen), Heubach im Odenwald (Bannerweihe beim Bru­derverein), Höchst und Kleinostheim (Feste der dortigen Arbeiter-Gesangvereine), Schaafheim (1928, 4. Bezirkssin­gen), Mömlingen und Großostheim (Arbeitersängerfeste), Eisenbach (Fahnen­weihe) und Freudenberg (Ausflug zum dortigen Arbeiter-Gesangverein).

Aber auch daheim war was los. Im Juni 1927 wurde bei der Zentgrafenkapelle ein Gedenkstein für den 1925 gestorbe­nen Reichspräsidenten Ebert enthüllt. Die Feier wurde mit »Ein Sohn des Vol­kes …« und »Tord Foleson« umrahmt.

Die Lyra und der Schwan auf dem roten Seidendamast der Fahne. Schärpen zeigen schwarz-rot-gold.

Das Prachtstück, die Fahne. Im Herbst desselben Jahres wurde beschlossen, eine Fahne anzuschaffen. Sie wurde zum 1. Juni 1928 von der Fahnenfabrik Josef in Speier geliefert und maß 1,20 mal 1,20 Meter. Die eine Seite, elfenbein­farben, trug das Bild einer Freiheitsgöt­tin, dazu den Spruch »Du starker Quell, deraus dem Felsen bricht, Du freies Lied, empor zum Licht«. Die andere Seite be­stand aus rotem Seidendamast und zeig­te eine Lyra mit einem Schwan und zwei ineinanderliegenden Händen, dazu die Inschrift »Arbeiter-Gesangverein Bürg­stadt 1922-1928«.

Im Preis von 650 Mark eingeschlossen waren drei Schärpen in schwarz-rot-­gold, eine Fahnenstange mit Spitze, ein Tragegurt sowie 30 Jahre Garantie für Stickerei und Stoff.

Am 24. Juli 1928 war Bannerweihe. Der Festausschuß hatte befreundete Ge­sang- und Sportvereine, Gewerkschaft­ler und SPD-Genossen nach Bürgstadt gerufen und in der »mit freiem Sänger­gruß« unterzeichneten Einladung dar­auf hingewiesen, daß Bürgstadt die ein­zige Gemeinde in Bayern ist, in der es einen Ebert-Gedenkstein gibt.

Als Fahnenpate war der »Arbeiter-Ge­sangverein Union« aus Aschaffenburg gekommen. Gefeiert wurde drei Tage und drei Nächte lang. Es gab eine Fah­nenbraut, Festdamen und weißgekleide­te Ehrenjungfrauen. Ein Oberregie­rungsrat hielt die Festansprache, ein Prolog wurde vorgetragen und natürlich ein Festzug veranstaltet.

Der Bericht, mit dem der Miltenberger »Bote vom Untermain« das Ereignis wür­digte, zog sich über eine Zeitungsseite hin. Der Berichterstatter ließ sich von Tord Foleson die Feder führen und schwärmte die neue Fahne an: »Durch Mühe und Opferfreudigkeit ist das Ziel erreicht. Treu wollen wir zu der Fahne halten, frei und stolz soll sie wehen! Unser Beschützer soll sie sein, unter ihren leuchtenden Farben wollen wir kämpfen. Fällt auch der Mann, das Ban­ner wird stehen.«

In den 1920er Jahren näherten sich die Arbeiter-Gesangvereine nicht nur mit den Formen ihres Vereinslebens, sondern auch mit ihrem Repertoire immer mehr den bürgerlichen Gesang­vereinen. Trotzdem wurden die politischen Akzentuierungen beibehalten. In Bürgstadt kam es sogar während einer Beerdi­gung zu einem Eklat mit dem Ortspfarrer. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die meisten Vereine kein Interesse an einer Neugründung. Aber einige ent­standen wieder. Im Laufe der Zeit strichen die meisten von ih­nen das Wort »Arbeiter« aus dem Vereinsnamen. Sie befürchte­ten, eine einseitige Klassifizie­rung stünde dem Zugang neuer Mitglieder im Weg. Nur in Schaaf­heim und Frammersbach heißen die Arbeiter-Gesangvereine heute noch »Arbeiter-Gesang­verein«. Sie unterscheiden sich aber nur durch den Namen von anderen bürgerlichen Vereinen.

Bürgerlicher Einschlag. Das Vereinsle­ben unterschied sich über weite Strek­ken kaum noch von dem eines bürgerli­chen Chores. Man veranstaltete Weih­nachtsfeiern, Maskenbälle, Kappen­abende und Verlosungen und gestaltete Gedenkfeiern für die Gefallenen mit. Und man spielte Theater. Die Namen der Stücke ähneln denen, die von bürgerli­chen Vereinen aufgeführt wurden, zum Verwechseln und müssen herrliche Me­lodramen gewesen sein. Wenige Titel sagen viel: »Vater und Sohn«, (Drama in einem Akt), »In Jägertracht« (Wilderer­drama), »Des Schicksals Walten«.

Die beliebtesten Chöre, die bei den Bürg­städter Arbeitersängern erklangen, wa­ren »Waldandacht«, »Hymne an die Nacht«, »Waldesrauschen«, »Ich warte Dein«, »Weihe des Gesangs« und natür­lich »Ein Sohn des Volkes will ich sein und bleiben« und »Tord Foleson«.

Immer wieder kam auch die schmerzli­che Pflicht, von einem Sängerfreund Ab­schied nehmen zu müssen. Tief in das Gedächtnis eingegraben hat sich der Tod von drei Arbeitersängern, die bei einem schweren Steinbruchunglück ums Leben gekommen waren.

Die Toten waren im Rathaus aufgebahrt. Neben Bürgermeister Fürst sprach der Aschaffenburger SPD-Politiker Georg Dewald, der damals Landtagsabgeord­neter und Chefredakteur der sozialde­mokratischen »Aschaffenburger Volks­zeitung« war und von 1953 bis 1961 dem Bundestag angehörte. Er würdigte das harte Los der Arbeiter. Drei Chöre erwie­sen den Toten die letzte Ehre, die beiden bürgerlichen Gesangvereine, die es in Bürgstadt gab, und unter der Leitung von Oberlehrer Siebenlist der Chor des Arbeiter-Gesangvereins, dem die Toten angehört hatten.

Spannungen zwischen dem Pfarrer und den Arbeitersängern entladen sich über einem offenen Grab.

Politische Akzentuierungen. Aber die politischen Akzentuierungen blieben bestehen: Mitwirkung bei der Enthül­lung eines Ebert-Gedenksteins in Amor­bach, Chorvorträge bei SPD-Kundge­bungen, Teilnahme an einer Kundge­bung der »Eisernen Front« und anderes mehr sind im Protokollbuch verzeichnet. Der Einsatz für die Sozialdemokratie hat­te ausgereicht, um zwischem dem Ver­ein und dem katholischen Ortspfarrer eine Spannung aufzubauen, die sich ausgerechnet bei einer Beerdigung ent­lud. Nach der Schilderung, die im Proto­kollbuch verewigt ist, hatten die Arbei­tersänger über dem offenen Grab eines Sangesbruders und Genossen den Cho­ral »Da unten ist Frieden« angestimmt. Als die letzte Strophe begann, in der es heißt »Auf ewig nun still steht hier sein Herz« habe plötzlich der Pfarrer gerufen: »Das ist nicht wahr, ihr Kommunisten leugnet damit die Auferstehung!«

Zum Entsetzen aller habe der Geistliche mit seinen Ministranten »fluchtartig«, wie der Protokollführer es empfand, und ohne die Beisetzung zu Ende zu bringen, den Gottesacker verlassen. Ohne Rück­sicht auf die Leidtragenden sei er laut­hals schimpfend über die Gräber ge­rannt. Die Sänger brachten mit einem Tremolo, das ihre zitternden Stimmen von ganz allein hergaben, das Lied zu Ende. Die Trauergemeinde war in Ratlo­sigkeit erstarrt.

Ein paar Tage später schrieb der Ver­einsvorstand einen Brief an das Bischöf­liche Ordinariat nach Würzburg und bat, dem Pfarrer künftig solche Entgleisun­gen zu untersagen. Der Gemeinderat fügte ein Schreiben bei, in dem er noch auf Angriffe einging, die der Pfarrer am nächsten Tag von der Kanzel herab ge­gen den Arbeiter-Gesangverein, die Ge­werkschaft und die Sozialdemokrati­sche Partei gerichtet habe.

Der Vorstand beschloss, in künftigen Fäl­len die Entscheidung den Angehörigen zu überlassen. Sollten sie, um Komplika­tionen auszuschließen, keinen Grabge­sang wünschen, würde der Verein das respektieren, würde dann allerdings auch nicht korporativ an der Beerdigung teilnehmen. Als 1931 wieder ein Arbeiter­sänger im Steinbruch verunglückte, wa­ren vorher von beiden Seiten her die Wogen geglättet worden. Der Chor hatte Lieder einstudiert, an denen der Pfarrer keinen Anstoß nehmen konnte, und die Beisetzung verlief ohne Zwischenfall.

Der Verfügung Folge geleistet. 1929 wurde ein Klavier angeschafft, 1930 ver­zichtete man auf den Kappenabend, weil die meisten Mitglieder arbeitslos waren. Auch 1932 wurden wegen der wirtschaft­lichen Not keine größeren Veranstaltun­gen abgehalten. Trotzdem stieg die Mit­gliederzahl. Der Chor hätte ein friedli­ches und erfolgreiches Dasein führen können, wenn nicht die Nationalsoziali­sten die Macht übernommen hätten. Die letzte Protokollbuch-Eintragung meldet die Auflösung des Vereins. Der Besitz des Vereins fiel den Nazis in die Hände. Die Fahne verschwand.

Dem Bürgstädter Protokollbuch verdan­ken wir neben den Hinweisen auf Klein­heubach und Reistenhausen-Fechen­bach die Erwähnung von fünf weiteren Arbeiter-Gesangvereinen, deren Exi­stenz nicht bekannt wäre, hätten die Bürgstädter nicht mit ihnen Kontakt ge­habt. Es sind die Vereine von Heubach, Höchst im Odenwald, Lützel-Wiebels­bach (alle Hessen), Mömlingen (Bayern) und Freudenberg (Baden). Mit den Lüt­zel-Wiebelsbachern feierten die Bürg­städter 1926 das 25. Stiftungsfest.

1925 mahnt ein Wertungsrichter beim Konkurrenzsingen: Die Lie­dertage sind keine Kampftage.

Frohsinn und Einigkeit. Eine Zusam­menfassung der Vereine, die 1925 im 16. Bezirk existierten, bietet dieTeilnehmer­liste des Kritiksingens, das am 18. Okto­ber dieses Jahres in Aschaffenburg statt­fand. Außer den schon genannten Verei­nen waren dabei:

»Arbeiter-Sportverein Babenhausen«, »Arbeiter-Gesangverein Langstadt«, »Arbeiter-Gesangverein Einigkeit Was­serlos«, »Arbeiter-Gesangverein Bru­derkette Seligenstadt«, »Gesangverein Frohsinn Seligenstadt«, »Arbeiter-Ge­sangverein Schimborn«, »Arbeiter-Ge­sangverein Edelweiß Großwelzheim«, »Frauenchor Seligenstadt«, »Arbeiter­Gesangverein Strötzbach«, »Arbeiter-­Gesangverein Einigkeit Großostheim«. Die Kritik über die Leistungen der Chöre wurde gedruckt und den Vorsitzenden zugeleitet. Eines der Exemplare befindet sich noch in Mainaschaff. (Anmerkung: Ich besitze drei solcher Exemplare: 1922, 1925 und 1926). Die Wertungs­richter hatten kein Blatt vor den Mund genommen, jeder Verein konnte nachle­sen, wie er beurteilt wurde. Im Vorwort wurden allgemeine Empfehlungen ge­geben, zum Beispiel: »Liedertage soll­ten für unsere Arbeiter-Sänger keine Kampftage, sondern Festtage sein. Jede Vortragsfolge mußfürdie Hörerein inne­res Erlebnis sein. Das setzt voraus, daß die einzelnen Chöre inhaltlich in einer inneren Verbindung zueinander stehen. Man kann nicht das Mozart’sche >Ave verum< neben das Wengert’sche >Ge­spensterschiff< stellen. Möge meine Kri­tik die Leistungsfähigkeit der Vereine steigern helfen, um dadurch die Arbei­ter-Sängerbewegung der Kunst noch näher zu bringen«.

Das Repertoire wandelt sich. Auch die Arbeitersänger finden jetzt Ge­fallen an Kunst- und Volksliedern.

Wandel des Repertoires. Bei dem Kritik­singen wurden 36 Gesänge vorgetragen. Titel und Komponisten sind bekannt und geben einen Einblick in den Wandel, den das Repertoire der Arbeiter-Gesangver­eine seit der Zeit vor dem Ersten Welt­krieg durchgemacht hat. Dieser Wandel verlief parallel zu der schon bei den Vereinen in Stock­stadt und Bürgstadt festgestellten Nei­gung der Arbeitersänger, viele Formen des Vereinslebens der bürgerlichen Ver­eine zu übernehmen. Das Kritiksingen von 1925 lässt die Tendenz erkennen, die Leistungsfähigkeit der Arbeiter-Ge­sangvereine mit dem Kunstlied zu bewei­sen, das von Anfang an die Domäne der bürgerlichen Vereine war. Sein Pro­gramm könnte genauso gut von einem Wertungssingen des Maintal-Sänger­bundes dieser Zeit stammen und hat keinen inneren Zusammenhang mehr mit der Arbeiterbewegung.

Von den 36 Liedern gehören 15 heute noch zum Programm traditioneller Män­nerchöre: »Untreue«, »Ännchen von Tharau«, »Schifferlied«, »Wohin mit der Freud’«, »Frisch gesungen« und »Schottischer Bardenchor«, alle von Friedrich Silcher. Weiter »Der Morgen« von Ludwig Baumann, »Die Nacht« in den Vertonungen von Franz Abt und Franz Schubert, »Im Walde« von Felix Mendelssohn-Bartholdy, »Der Linden­baum« von Schubert, »Abschied hat der Tag genommen« von Valentin E. Becker, und »Agnus Dei« von Hanns Leo Haßler. Drei »Volkslieder« standen ohne Namen von Komponisten auf dem Programm. Daneben erklangen 18 Chöre, die (»Die drei Zigeuner« zum Beispiel, »Am Berg­strom«, »Liebesklage«, »Jägerwerben«, »Das Glöcklein im Tale«, »Heimkehr«) zusammen mit der Bedeutung ihrer Komponisten aus Geschmacksgründen die 1930er Jahre nicht überlebt haben.

»Maiglöckchen« beklagt Sängerklau. Aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gibt es noch einige weitere Nachrichten. Viele stammen nur aus kurzen isolierten Notizen oder bestehen aus indirekten Querverweisen.

1927 wurde in Kleinostheim ein Arbeiter-­Gesangverein gegründet. Man weiß es aus dem Festbuch der Kleinostheimer bürgerlichen Sängervereinigung »Mai­glöckchen 1926«, in dem der Rück­schlag beklagt wurde, den sie dadurch erlitten, daß die Arbeitersänger viele »Maiglöckchen« an sich zogen. Auch im Bürgstädter Protokollbuch taucht der Kleinostheimer Arbeiter-Gesangverein auf, als er ein Sängerfest veranstaltete, das von Bürgstadt besucht wurde.

Ebenfalls 1927 beging der »Arbeiter-Ge­sangverein Seckmauern« seine Fahnen­weihe. 1928 weihte der Eisenbacher Ar­beiter-Gesangverein seine Fahne. Er scheint der einzige gewesen zu sein, dem es 1933 bei der Auflösung glückte, das Kassenbuch und anscheinend auch die Guthaben zu retten, und wandelte den Bestand des verbotenen Chors in einen Gemischten Chor um.

Am 27. Juni 1928 war der »Arbeiter-Ge­sangverein Einigkeit Großostheim« beim 25. Stiftungsfest der »Bruderkette« in Schaafheim dabei. Am 4. August 1929 veranstaltete der »Arbeiter-Gesangver­ein Elsenfeld« ein Werbesingen.

Ganz zuletzt: Frammersbach. Der letzte Arbeiter-Gesangverein, dessen Ge­schichte gut zu verfolgen ist, wurde in Frammersbach bei Lohr gegründet. Im Ortsteil Schwartel hatten sich 1922 Ein­wohner zu einem Gesangsquartett zu­sammengefunden, aus dem am 27. Fe­bruar 1927 der »Arbeiter-Gesangverein Sängerlust« entstand. Man begann mit 43 Aktiven. Das Gründungsfest wurde in Anwesenheit von 2000 Gästen auf dem Turnplatz gefeiert.

Der Ortsgeistliche zelebrierte einen Festgottesdienst. Dazu waren, in Fram­mersbach gab es viele Schneider, die aktiven Sänger im Gehrock erschienen, aber das darf nicht täuschen, Geld war knapp. Es gab nicht einmal ein Klavier, der Chorleiter spielte die Stimmen auf der Geige vor. Unter großen Opfern wur­de dann ein Klavier angeschafft, es ko­stete 1 100 Mark. Dazu gaben einige Mit­gliederzinslose Darlehen. 58 Frammers­bacher Holzauslader, die auswärts be­schäftigt waren und 40 Pfennig in der Stunde verdienten, stifteten »ihrem Ar­beiter-Verein« 290 Mark. Eine Haus­sammlung brachte 599 Mark. Der Verein wurde straff geführt und lebte problem­frei mit den anderen örtlichen Vereinen.

Briefköpfe spiegeln die Geschichte von Arbeiter-Gesangvereinen am Untermain. Einer existiert nicht mehr, einer besteht unter seinem alten Namen fort, zwei bestehen fort, haben aber den Namensbestandteil »Arbeiter« aufgegeben. Der (von oben 1) »Arbeiter-Gesang-Verein Bürgstadt« wurde 1922 gegründet, 1933 zur Auflösung gezwungen und entstand nach 1945 nicht mehr. Der (2) »ArbeiterGesangverein >Bruderkette< Schaafheim« ließ sich 1903 zum ersten Mal hören und besteht nach der vom »Dritten Reich« erzwungenen Pause unter seinem unveränderten Namen fort. In Stockstadt hatte sich der Arbeiter-Gesangverein nach 1945 mit einem anderen Chor zusammengeschlossen, hatte aber (3) mit dem Wort »Arbeiter« in dem neuen Namen >Arbeitergesangverein >Sängerlust<-,Gesellige Freunde~ Stockstadt/Main« den Bezug auf seine Geschichte aufrechterhalten. Heute heißt er nur noch >Sängerlust«. In Mainaschaff nannte sich der 1893 gegründete »Edelweiß«-Verein nach 1945 noch (4) »Arb.-Gesangverein«. Heute firmiert er unter Berufung auf sein Gründungsjahr als (5) »Gesangverein ~Edelweiß< 1893«.